„Aktuelle Herausforderungen in den österreichisch-russischen Beziehungen“
Sergej J. Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation, zu Gast im CUL
Botschafter Natschajew, der Germanistik studiert hat, hielt seinen Vortrag in hervorragendem Deutsch. Er hob zunächst die ausgezeichneten Beziehungen zwischen seinem Land und Österreich hervor. Es gäbe „keine Probleme“ und „keinerlei Defizite“. Es käme laufend zu bilateralen Gesprächen auf hoher und höchster Ebene.
Bis zum Beginn der von der EU über Russland verhängten Wirtschaftssanktionen, habe es eine laufende Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern gegeben. Das Handelsvolumen habe sich zuletzt auf sieben Mrd. Euro belaufen. Rund 1200 österreichische Firmen seien gegenwärtig in Russland aktiv. Allein bei der Winterolympiade 2014 in Sotschi, hätten österreichische Firmen einen Umsatz von rund 1,5 Mrd. Euro gemacht.
Auch im kulturellen und humanitären Bereich stehe zwischen Russland und Österreich alles zum Besten. Das Interesse der Österreicher an Russland und dessen Kultur und Sprache wachse – und das sei ein seit Jahren stabiler Trend. Das Interesse russischer Touristen an Österreich habe in den zurückliegenden Jahren etwa um 20 Prozent jährlich zugenommen. Das habe sich – angesichts der Schwäche des Rubels – zuletzt geändert. Allerdings sei der Rückgang der Zahlen russischer Besucher in Österreich deutlich geringer ausgefallen, als in anderen Ländern der EU. Er, Netschajew, blicke jedenfalls optimistisch in die Zukunft, was die Beziehungen zu Österreich angehe.
In der folgenden Debatte ging der Boschafter auf Fragen nach der Rohstofflastigkeit der russischen Exportwirtschaft, der anhaltenden Kapitalflucht und der mangelnden wirtschaftlichen Freiheit ein. Russland sei dabei, seine Wirtschaft neu zu orientieren, um vom hauptsächlichen Export von Rohstoffen wegzukommen. Dem Problem der Kapitalflucht werde mit einer entsprechenden Zinspolitik begegnet. Es sei „nicht leicht, aber wir werden es meistern“. Trotz der Probleme durch den Ölpreisverfall herrsche „absolute Stabilität“ im Lande. Präsident Putin und seine Regierung genieße ein höheres Vertrauen der Bevölkerung als je zuvor.
Über die Politik der EU sei er „enttäuscht“. Man habe sich seitens Russlands erwartet, gleichwertig behandelt zu werden und das sei nicht der Fall. Die Russlandpolitik der EU sei nicht eigenständig, sondern an „einer anderen Macht orientiert.“
Die Vorstellung, Russland isolieren zu können, sei falsch. Dass es im Zuge der Sanktionen, nun keinen französischen Käse mehr zu kaufen gäbe, werde jedenfalls keinen Einfluss auf die russische Innen- oder Außenpolitik haben. Die Sanktionen würden auch der EU schaden. Mittelständische Unternehmen auf beiden Seiten seien besonders betroffen. Das Handelsvolumen Russlands mit der EU belaufe sich (Stand vor Inkrafttreten der Sanktionen) auf 430 Mrd. Euro, das mit den USA auf lediglich 30 Mrd. Allein daran können man erkennen, wer die höheren Verluste zu tragen habe.
Die im Zuge der deutsch-deutschen Wiedervereinigung gegenüber Russland gemachten Zusagen, keine Osterweiterung der NATO voranzutreiben, seien vom Westen gebrochen worden. In Form eines in Russland populären Witzes erklärte er:„Russland betreibt tatsächlich eine aggressive Außenpolitik. Das Land ist mit den US-Stützpunkten ringsum auf Tuchfühlung gegangen!“ Was sollten die Russen von dieser Politik halten? Wie seien die eindeutig gegen sein Land gerichteten militärischen Aktivitäten der NATO zu interpretieren?
Russland unterhalte keinen einzigen militärischen Stützpunkt im Ausland. Die USA dagegen hätten 120 und sie seien eben im Begriff, acht weitere aufzubauen. Es gehe den Amerikanern um „geopolitische Spielchen“. Russland solle für seine eigenständige Politik bestraft werden.
Auf die Frage nach den Beziehungen zum Iran, verweist der Botschafter darauf, dass Iran immerhin ein Nachbar sei, mit dem man gute Beziehungen pflegen wolle. Russland sei gegen eine weitere Proliferation von Atomwaffen, habe aber nichts gegen die „friedliche Nutzung des Atomkraft durch den Iran“. In dieser Hinsicht sei man dessen Partner. Mit China gebe es gute Beziehungen. Beide Länder zählten zu den BRICS-Staaten. Kooperationen gäbe es allerdings nur in wirtschaftlicher, nicht aber in militärischer Hinsicht.
Auf das militärische Engagement Russlands in der Ukraine angesprochen, antwortet Botschafter Netschajew ausweichend. Er verweist auf die „Gespaltenheit“ der Ukraine, darauf, dass die Krim ohnehin russisch wäre (was durch ein 2014 durchgeführtes Referendum mit 96 prozentiger Mehrheit auch klargestellt worden sei) und dass es lediglich um das „Selbstbestimmungsrecht“ gehe. Dafür stehe die Regierung Russlands – auch in der Donbass-Region.
Der „Alarmismus“ in den baltischen Staaten sei „normal“. Die dort endemisch grassierende „Russophobie“ lasse gar nichts anders zu. Das sei eher eine „medizinische“ als eine politische Frage. Man solle das nicht überbewerten.
Zu den Wirtschaftssanktionen: Als die USA (im Zuge der Kosovo-Krise) „einen souveränen Staat bombardiert“ hätten (Serbien) – und zwar ohne UNO-Mandat, sei alles OK gewesen. Im Kosovo habe es aber niemals ein Referendum gegeben. Man habe seitens der Amerikaner einfach Tatsachen geschaffen. Keiner habe deshalb an Sanktionen gegen die USA gedacht. Weshalb sei das anders, wenn es um Russland gehe? Wer kümmere sich um das Völkerrecht, wenn es um westliche Militärinterventionen im Irak, in Syrien oder in Libyen gehe…?
Heute gebe es in Russland keine Tabus im Hinblick auf die Zeitgeschichte – auch nicht in den Schulen. Über die Gräuel während der Stalin-Zeit wisse heute jeder Bescheid. Allerdings werde keine schwarz-weiß-Malerei betrieben. Nicht alles, was Stalin getan habe, sei schlecht gewesen. Man denke an die von ihm vorangetriebene Industrialisierung und an den siegreich geführten, „Großen, vaterländischen Krieg“…
Andreas Tögel