Das fatale Ende einer Unterscheidung
Dem Internetlexikon Wikipedia ist zu entnehmen: „Eigentum (…) bezeichnet das umfassendste Herrschaftsrecht, das die Rechtsordnung an einer Sache zulässt.“ Fraglich ist, ob bei einem Fehlen dieses „umfassenden Herrschaftsrechts“, das die volle, willkürliche Verfügbarkeit des Herren über eine Sache bedeutet – inklusive des Rechts, diese zu veräußern, zu belehnen oder auch zu zerstören – von „Eigentum“ gesprochen werden kann. Ist eine „Sozialbindung“ oder „Sozialpflichtigkeit“ von Eigentum möglich, ohne entweder den Begriffsinhalt seiner Bedeutung zu entleeren oder den Boden der Logik zu verlassen?
Das Deutsche Grundgesetz, Artikel 14 Absatz 2 normiert: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Mit dieser schwammigen Formulierung wird der Wert privaten Eigentums relativiert und dem willkürlichen Zugriff des Machthabers – der Regierung – ausgeliefert. Denn was der unbestimmte Begriff „Wohl der Allgemeinheit“ zu bedeuten hat, liegt im Auge des Betrachters. Eigentum wird zu einem Phänomen, das täglich wechselnden, willkürlich nach politischer Opportunität definierten Kriterien unterliegt.
Auch die Kirche kennt derlei Verfügungsbeschränkungen. Papst Leo XIII. rekurriert in der seiner Enzyklika Rerum Novarum auf Thomas von Aquin, der die Dinge nicht als Eigentum sondern als gemeinsames Gut bezeichnet. Viele später folgende Kirchendokumente betonen auf die eine oder andere Art eine mit dem Eigentum in Zusammenhang stehende „Sozialpflichtigkeit“.
So kann der Form nach zwar Eigentum bestehen – etwa durch eine Eintragung im Grundbuch – die reale Verfügungsgewalt darüber aber massiv eingeschränkt oder völlig ausgeschaltet sein. Auch im Falle eines Wirtschaftsbetriebes kann das private Eigentum formal existieren, dem Unternehmer aber Art und Umfang der Produktion ebenso vorgeschrieben sein, wie die Höhe der zu zahlenden Löhne und die Preise seiner Produkte. Der Unternehmer sinkt in diesem Fall zum Betriebsführer herab, der als ohnmächtiger Befehlsempfänger der Regierung agiert, wie das zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland oder in der Ära des Sozialfaschismus unter F. D. Roosevelt in den USA der Fall war. Der „Unternehmer“ hat dann zwar weiterhin sein Kapital einzusetzen und dafür das wirtschaftliche Risiko zu tragen, faktisch aber nicht mehr die Möglichkeit zu unternehmensstrategischen Entscheidungen.
Daß Maßnahmen dieser Art ohne die vorherige Zucht oder die gewaltsame Erziehung eines jeder Form von Eigennutz abholden „Neuen Menschen“ dauerhaft erfolgreich umsetzbar sind, ist unwahrscheinlich. Noch jeder, der gegen die Natur (des Menschen) gearbeitet hat, ist am Ende gescheitert. Das Streben nach dem eigenen Vorteil ist nämlich zutiefst menschlich. Wer fleißig und wohlüberlegt arbeitet, mit kühl kalkuliertem Risiko erfolgreich einen Betrieb führt, Konsumverzicht übt und endlich ein Vermögen aufbaut, der möchte dessen Früchte genießen, ohne diese – auf Befehl des Politbüros – mit anderen, die weniger oder gar nichts geleistet haben, teilen zu müssen. Wer dem Eigennutz, der wirkungsvollsten Triebfeder menschlichen Handelns, entgegenarbeitet, reduziert den möglichen Erfolg – zum Schaden aller. Die Menschen werden dann entweder „erfinderisch“, was auf die allgemeine Geringschätzung von Regeln und Normen hinausläuft, oder sie schränken ihre wirtschaftlichen Aktivitäten drastisch ein. Eine klare Unterscheidung von mein und dein – ein wirkungsvoller und über alle politischen Moden und Begehrlichkeiten erhabener Eigentumsschutz – ist in einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich dauerhaft materiellen Wohlstands erfreuen wollen, daher unerlässlich. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, die Art und Weise zu beschreiben, wie Eigentum rechtmäßig erworben wird. Dazu sei auf John Lockes „Zweite Abhandlung über die Regierung“ verwiesen. Empirisch gesichert ist, daß Gesellschaften, in denen privates Eigentum entweder unbekannt oder mangels Rechtssicherheit ständig bedroht ist, keinen dauerhaften Bestand haben, bzw. über das Niveau einer kargen Subsistenzwirtschaft kaum hinauskommen.
Entscheidend ist, daß diese Einsichten in unserer heute von „apokalyptischen Spießern“ (Matthias Horx) geführten Welt heute offenbar nicht mehr mehrheitsfähig sind. Ob Eigentum und Einkommen redlich (mit wirtschaftlichen Mitteln) oder gewaltsam (mit politischen Mitteln) erworben wird, macht für eine steigende Zahl von Zeitgenossen – die sich am verheerenden Beispiel der bis ins Mark verkommenen politischen Eliten orientieren – keinen Unterschied mehr. Das führt in unserer Massendemokratie, in der die Zahl der Systemprofiteure jene der Nettofinanciers bereits deutlich übersteigt, notwendigerweise zu schwerwiegenden Verwerfungen: Die Ausbeutung der immer weniger werdenden Leistungsträger durch eine immer größere Zahl von Nichtproduzenten nimmt laufend zu. Wir leben in einem politisch-wirtschaftlichen System, das eine selbstverstärkende Tendenz zur Autodestruktion aufweist.
Die hartnäckige Krise, in der die westlichen Gesellschaften sich befinden, scheint der Tatsache geschuldet zu sein, daß es mit dem Eigentumsschutz längst nicht mehr zum Besten steht. Offensichtlich bildet die ausschließliche Fokussierung der politischen Klasse und der Intellektuellen auf die Befindlichkeiten und Ansprüche angeblich Unterprivilegierter – und die in der Brot-und-Spiele-Ochlokratie daraus resultierende Erosion des privaten Eigentums – deren Ursache.
Daß zuletzt ausgerechnet der Fall einer Ikone der radikalen Linken, Alice Schwarzer, symptomatisch für den Prozess des Niedergangs der Wertzumessung ist, dem privates Eigentum unterliegt, ist drollig. Die brave Frau hat mutmaßlich eine Menge Geld in die – aus Sicht der bundesdeutschen Umverteilungsbrigaden feindliche – Schweiz verbracht. Kaum wird die Sache publik, laufen reflexartig die üblichen Programme ab: Da ist ausschließlich von „Schwarzgeld“ die Rede, wiewohl angenommen werden darf, daß Frau Schwarzer auf rechtmäßige Weise verdiente Mittel transferiert hat. Keineswegs also „Schwarzgeld“ (es sei denn, „weißes“ Geld erfährt beim Überschreiten der bundesdeutschen Grenze einen automatischen Farbumschlag). Außerdem ist von „Betrug am Fiskus“ die Rede, obgleich das Geld, als es verdient wurde, ja bereits versteuert wurde. Hätte die nun so herb geschmähte Frau Schwarzer Goldbarren oder Brillanten, anstatt Erträge generierender Wertpapiere in ihr Schweizer Depot gelegt, wäre der Aufregung jeglicher Grund entzogen. Denn schließlich ist es (noch!) nicht illegal, redlich erworbenes Eigentum außer Landes zu bringen. Und Kapitalerträge sind – entgegen der landläufigen Fehlannahme – auch in der Schweiz keineswegs steuerfrei. Also: viel Lärm…worum eigentlich?
Von „Betrug“ oder „Diebstahl am Fiskus“ kann in diesem und ähnlich gelagerten Fällen nämlich nur daherreden, wer meint, jeder von Privaten verdiente oder besessene Euro gehöre prinzipiell dem Staat, der dann, großzügig wie er ist, einen (kleinen) Teil davon dem Tributpflichtigen zurückzugeben geruht. Offensichtlich hat genau diese Sicht der Dinge von der Publizistenzunft (den Mitgliedern der politischen Eliten und Wohlfahrtsstaatsprofiteuren sowieso) vollständig Besitz ergriffen. Das lauteste „Haltet-den-Dieb“-Geschrei wird folgerichtig von exakt jenen Damen und Herren ausgestoßen, die selbst ihr Lebtaglang keinen müden Cent an Steuer bezahlen, sondern vielmehr von Steuern (und/oder steuerfinanzierten Subventionen) leben: Politiker, Beamte, mittels Staatsstipendien alimentierte Intellektuelle und Journalisten der staatlichen Massenmedien. Das Verschwinden der Einsicht in den wesentlichen Unterschied zwischen mein und dein geht zu einem erheblichen Teil mit dem Treiben des unablässig wachsenden Leviathans Hand in Hand.
Daß Menschen auf die Idee kommen, ihr sauer verdientes Geld ins vermeintlich sicherere Ausland zu tragen (spätestens seitdem sich der Staat zum Hehler macht, indem er ungeniert Kontoinformationen ankauft, die auf kriminelle Weise beschafft wurden, ist das eine getäuschte Hoffnung) hängt unzweifelhaft mit der im Verschwinden begriffenen Unterscheidung zwischen mein und dein zusammen. Denn wer darauf vertrauen kann, daß sein Erspartes vor willkürlichen Zugriffen – vorrangig denen seitens des Großen Bruders – verschont bleibt, hat auch kein Motiv, es ins Ausland zu transferieren. Eigentumsrechte hängen in modernen Wohlfahrtsstaaten indes am seidenen Faden. Eine – demokratische – Abstimmung reicht und die Sparleistung eines Lebens ist dezimiert oder gänzlich futsch. In einem solchen Klima kann kein Vermögen aufgebaut oder erhalten werden. Wo indes kein Kapital gebildet und erhalten wird, dort kann es langfristig keinen breiten Wohlstand geben. Das – wieder – zu erkennen, erfordert anscheinend zunächst einen Totalschaden…
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Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher