Freiheit statt Demokratie – Russlands Weg und die Illusionen des Westens

Seit 23 Jahren lebt der Autor, gelernter Philosoph, Journalist und Unternehmer, in Moskau. Er kennt das Land und die Leute, die er zu schätzen und einzuschätzen gelernt hat. Für Westeuropäer, die das Gefühl haben, von antirussisch eingestellten Medien im Dienste der transatlantischen Allianz desinformiert zu werden, bietet das Buch eine wertvolle Quelle zum Verständnis der russischen Seele. Gerade in unseren konfliktreichen Zeiten, ist es kein Ausweis besonderer Klugheit, Russland kurzerhand als rückständig und barbarisch und dessen Staatschef als Inkarnation des Bösen abzutun. Russland und die Denkweise seiner Bürger zu erklären, hat Thomas Fasbender sich zur Aufgabe gemacht.

Im Westen wähnt man sich, seit dem Untergang der Sowjetunion, am „Ende der Geschichte“ angelangt. Die totale Überlegenheit des „liberal-demokratischen“ Gesellschaftsmodells (wobei zu fragen ist, was in unseren von politischer Korrektheit und Genderwahn bestimmten Parteiendiktaturen die Bezeichnung „liberal“ denn noch rechtfertigt), steht hier völlig außer Frage. Wer daran auch nur leise Kritik zu üben wagt, stellt sich außerhalb des demokratischen Verfassungsbogens. Von der unübertrefflichen Einzigartigkeit der massendemokratischen Verfassung überzeugt, gilt es, jedes Hindernis wegzufegen, das dieser im Wege steht – gerne auch mit Waffengewalt! Das Erstarken alternativer Gesellschaftsentwürfe in Fernost, ist für den Westler ebenso unverständlich, wie die hartnäckige Weigerung der Russen, sich (wie Europa) endlich ins Unvermeidliche zu fügen und sich in einer unipolar gewordenen Welt dem transatlantischen Hegemon zu unterwerfen.

Russen denken weniger großräumig als die Bürger westlicher Demokratien. Und sie sind bescheidener. Sie wissen um die vielen Unzulänglichkeiten ihres im größten Land der Welt herrschenden Gegenmodells: Die allgegenwärtige Korruption, die Schlamperei, die unter weiten Teilen der Bürgerschaft grassierende Gleichgültigkeit und Antriebslosigkeit. Doch das als oberflächlich-dekadent, gottlos und widersprüchlich verstandene System des Westens, würden sie gegen ihre Art zu leben niemals eintauschen wollen. Liberale (präziser ausgedrückt: prowestliche) Kräfte hatten, nach dem Kollaps des Sowjetregimes, unter Boris Jelzin ihre Chance. Die haben sie gründlich verspielt. Diese „wilden Jahre“ haben den Russen einmal mehr klargemacht, dass sie eben einfach „anders“ sind. Außer einer Handvoll Intellektueller, sieht sich von der westlichen Lebensart heute kaum noch einer angezogen. Auch die superreichen Oligarchen nicht, die im auf Prinzipien und nicht auf Beziehungen ruhenden Westen, niemals erreicht hätten, was sie in „Mütterchen Russland“ geradezu spielend erreichen konnten.

Den Autor als „Putinversteher“ abzutun, wäre verfehlt. Er hat keine Apologie dessen autoritären Regimes vorgelegt. Aber er versteht es zu erklären, weshalb sich dieser Mann – im Gegensatz zu den Liberalen im Lande – so großer Zustimmung erfreut. Die ausführlich beschriebene Geschichte Russlands, liefert dafür wesentliche Aufschlüsse: Von der jahrhundertelangen Mongolenherrschaft, über Iwan den Schrecklichen und Josef Stalin, führt eine recht gerade Linie zum heute im Kreml regierenden Ex-KGB-Offizier Putin. Mit Freiheit im westlichen Sinne – mit Aufklärung, Selbstbestimmung und politischer Vielfalt – kann die Mehrheit der Russen nichts anfangen. Noch heute sieht mehr als die Hälfte der Bürger in Stalin einen großen Mann. Nicht im Kommunisten Stalin, sondern in jener Figur, die Russland groß gemacht und zum Sieg geführt hat. Von Zar Putin wird nicht viel weniger erwartet.

Der Satz „Wer in seinem Herzen nur Erbsen zählen kann, dem bleibt Russland für immer fremd“ ist bezeichnend. Denn „Russland existiert nicht für das Bruttosozialprodukt.“ Hier wiegt die den Westen bestimmende Orientierung am Wirtschaftswachstum deutlich weniger schwer.

Durch das Einstreuen zahlreicher Anekdoten (sogar Kochrezepte fehlen nicht!) erhält der Text einen sehr persönlichen Anstrich. Dem Autor geht es eben nicht nur um die politische Dimension. Was indes weitgehend fehlt, ist der geopolitische Aspekt des Gegensatzes zwischen der klassischen Seemacht USA und der traditionellen Landmacht Russland. Weshalb die USA so sehr daran interessiert sind, einem Keil zwischen Europa (insbesondere Deutschland) und Russland zu treiben; Weshalb derjenige, der die Herrschaft über Eurasien ausübt, am Ende die ganze Welt beherrscht; Wer das begreifen will, muss sich wohl der Lektüre von „Die einzige Weltmacht“ des Schachspielers Zbigniew Brzezinski widmen. In Fasbenders Buch hat Geopolitik keinen Platz.

Für den (West)Europäer bleibt die Frage, ob er tatsächlich eine unipolare Welt einer multipolaren vorziehen soll. Verträgt sich eine solche Welt mit den auf Vielfalt in Verschiedenheit beruhenden liberalen Idealen? Wie war das mit der „absoluten Macht“ und der daraus resultierenden Konsequenz? Sollten nicht gerade wir Europäer jedes Interesse an einer Welt haben, die nicht von einer einzigen Hypermacht beherrscht wird? Hätten nicht gerade wir Europäer jede Veranlassung, eine eigenständige, von amerikanischen Interessen emanzipierte Russlandpolitik zu betreiben? Was für Vorteile hätten wir Europäer – anders als unsere amerikanischen Freunde – von einem destabilisierten und damit unberechenbaren Russland zu erwarten?

Auf einer der letzten Seiten kommt der Autor, den geopolitischen Betrachtungen nicht sonderlich interessieren, dennoch zum Schluss: „Eurasien ist und bleibt ein eminent europäisches Thema. […] Eurasien ist nicht die Alternative zu Europa, Eurasien ist ein alternatives Europa.“ Wie wahr! Europa sollte sich nicht zum Festlandsdegen der imperialistischen US-Politik machen lassen…!

 

Freiheit statt Demokratie / Russlands Weg und die Illusionen des Westens
Thomas Fasbender
Verlag Manuscriptum
361 Seiten, broschiert
ISBN 13: 978-3944872063
€ 19,80,-

Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher