Liberale und Libertäre stehen vor mehreren Problemen. Eines der am schwersten wiegenden ist ihr meist vergebliches Bemühen, gegen Gefühle mit rationalen Argumenten ankämpfen zu wollen. Der Sozialismus in all seinen verführerischen Facetten verströmt eben jede Menge „soziale Wärme“ und fühlt sich einfach gut an. Karl Marx: „Jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Super. Was haben die Liberalen dagegen anzubieten? Freiheit – bei voller Verantwortung für Fehlentscheidungen und allen damit verbundenen Risiken. Absolut uncool. Der Analyse dieser Problematik wurden von den besten Köpfen bereits ganze Bibliotheken gewidmet. Weitgehend vergebens, weil der Kreis der dadurch angesprochen klein ist und das heiße Bemühen sich somit aufs Predigen zu den bereits Bekehrten beschränkt.
Ein kürzlich eingegangener Leserbrief eines wohlwollenden Kritikers nimmt ein ganz spezielles Problem aufs Korn, das hiermit genannt und zur Diskussion gestellt sei. Es geht um die Frage des Umgangs der Liberalen mit der Macht.
„Sie und alle Ökonomen, egal welcher Richtung, machen für meine Begriffe einen fundamentalen Fehler: sie lassen den das gesellschaftliche Leben beherrschenden Faktor, die Macht, und deren Gesetze außer Acht.“
Der Leserbriefschreiber kommentiert in der Folge das Wesen der Macht als eines, das keine Selbstbeschränkung und/oder Regulation duldet, sondern stets nach Ausdehnung strebt:
„Da sich Macht nicht autoregulativ sättig, kennt sie auch keine, den Machtmissbrauch beherrschende Selbstkontrolle. (…) Macht ist unter anderem und in erster Linie die Fähigkeit, an das Eigentum des anderen zu gelangen, d.h. sich auf des anderen Kosten zu bereichern.“
Dem ist nicht zu widersprechen. In seinem großartigen Buch „On Power“ beschreibt Bertrand de Jouvenel exakt dieses Phänomen, dem er sowohl von theoretischer Seite als auch unter Hinweis auf historische Ereignisse auf den Grund geht. Nicht starke Herrscher wie Heinrich VIII., Ludwig XIV. oder Peter der Große, die allesamt erheblichen Druck auf ihre Untertanen ausgeübt hatten, wurden von Revolutionen hinweggefegt, sondern schwache Typen wie Charles I. (von Oliver Cromwell aufs Schafott gebracht), Ludwig XVI. (vom Pariser Pöbel liquidiert) oder Nikolaus II. (von den Bolschewiken abgesetzt und später ermordet). Die Macht duldet, wie es scheint, niemanden auf dem Thron, der nicht nach ihrer Ausdehnung strebt. In Demokratien verhält es sich nicht anders. Das Stimmvieh wünscht sich mehrheitlich starke Führer – und damit Machtkonzentration. Der Leserbriefschreiber kommt dann auf das Wesen des Geldes zu sprechen und führt aus:
„Betrachtet man z.B. das Geld und die Geldtheorien, die der Geldschöpfung aus dem Nichts das Wort reden, so folgen bzw. dienen sie genau diesen Gesetzen und Zielen der Macht.“
Auch dem ist zuzustimmen. Wer die Geldschöpfung kontrolliert, kontrolliert, wie die Liberalen sehr wohl wissen, auch alles andere. Ein weiterer interessanter Punkt:
„…hat sich…eine Nomenklatur des öffentlichen Dienstes entwickelt, die die Schlüsselpositionen der Macht, die Legislative, die Exekutive und die Judikative besetzt hat. (…) Ich bin fest davon überzeugt, dass die Österreichische Schule wesentlich größeren Einfluss nicht nur auf die sog. Intelligenzia sondern auch auf die Masse, den sog. Kleinen Mann, haben wird, wenn sie sich intensiv mit der Macht, der Machtbegrenzung, der Machtkontrolle und dem Machtmissbrauch beschäftigten würde.“
Das ist ein sehr konkreter Gedanke, dem der Leserbriefschreiber eine ganz konkrete Forderung hinzufügt:
„Wer vom Staat alimentiert wird, ist vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen.“ Er knüpft daran folgende Hoffnung:
„Allein diese zwingend notwendige Forderung zur Machtkontrolle würde die Gesellschaften vollkommen verändern – in Richtung mehr und nicht weniger Freiheit, in Richtung mehr und nicht weniger Wohlstand.“
In meiner Replik habe ich darauf hingewiesen, dass F. A. Hayek in seiner „Verfassung der Freiheit“ (1960) zur Diskussion gestellt hat, Personen, die von Steuergeldern leben, beispielsweise Beamte, vom aktiven Wahlrecht auszuschließen. Derartige Ideen sind zwar plausibel zu argumentieren, haben auf dem Boden der gültigen Rechtsordnung aber keinerlei Aussicht auf Verwirklichung. Da sei der „Sperrklinkeneffekt“ des Sozialstaats vor: Einmal eingeführte „Errungenschaften“ wie das allgemeine, gleiche Wahlrecht, werden von den gegenleistungsfrei Begünstigten und deren politischen Sachwaltern niemals wieder aus der Hand gegeben. Der Reiz und die Zweckmäßigkeit eines an der Leistung für die Gesellschaft bemessenen Zensuswahlrechts mögen daher Anlass für angeregte akademische Debatten bieten, aber keinesfalls mehr.
Meinen grundsätzlichen Standpunkt was die Machtfrage angeht, habe ich in meinem Antwortschreiben so formuliert:
Das Dilemma aus meiner Sicht: Diejenigen, die der Macht aus eben diesem Grund kritisch gegenüberstehen, da sie ihren verderblichen Charakter fürchten (der auch sie selbst nicht verschonen würde), wollen sie nicht haben, da am Ende auch ein Heiliger zum Verbrecher würde, sobald er sie in Händen hielte. Diejenigen aber, die nach Macht streben, sind entweder bereits vorher bis auf die Knochen korrupt oder sie werden es binnen kürzester Zeit sein, wenn sie erst einmal mit ihrem Gift infiziert wurden. „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“, wie wir von Lord Dalberg-Acton wissen. Mir ist kein einziger Fall bekannt, in welchem Macht einmal zu etwas anderem als zu Raub, Mord und Totschlag eingesetzt worden wäre. Es ist auch kein Zufall, dass die Geschichtsbücher überquellen von Lobliedern auf blutsaufende Massenmörder – von Alexander über Napoleon bis Mao. Die Namen jener Helden aber, die die Menschheit durch Handel und Wandel vorangebracht haben, sucht man in den Annalen weitgehend vergebens.
Ich sehe daher, so deprimierend diese Einsicht auch ist, weit und breit kein Entkommen aus der „Machtfalle“. Mehr als mit meinen schwachen Kräften zu versuchen, Aufklärung zu betreiben, kann ich nicht. Und vor exakt diesem Problem stehen auch viele andere Libertäre, die meist nur zu den bereits Bekehrten predigen und Krethi und Plethi niemals erreichen.
Wir werden daher – so wenig verlockend diese Aussicht auch ist – das Schicksal der Kassandra teilen. Zu sehen und nicht gehört zu werden, trägt immerhin das Pathos der unausweichlichen Niederlage in sich. Ich jedenfalls kenne weit und breit keinen Libertären, der tatsächlich noch an einen „Sieg der besseren Ideen“ glaubt, von dem F. A. Hayek noch geträumt hat.
Die Bordkapelle der Titanic soll ja bis zur letzten Minute tapfer musiziert haben…das werde ich – mit meinen Mitteln – auch tun. Bleiben Sie mir/uns bitte trotzdem (oder gerade deshalb) gewogen!
Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher