Mit dem Ortsnamen Königgrätz, verbindet der einigermaßen geschichtsinteressierte Zeitgenosse, in erster Linie den Begriff „Zündnadelgewehr“. In der Tat trug die modernere Infanteriebewaffnung der preußischen Truppen, einen wichtigen Teil zu ihrem Triumph über die mit Vorderladern ausgerüsteten Österreicher bei. Schwerer als dieser zweifellos vorhandene technische Vorteil, wog jedoch das strategische Können des preußischen Oberbefehlshabers Helmuth von Moltke, der fünf Jahre später, bei Sedan, seinen größten Erfolg im deutsch-französischen Krieg erringen sollte.
Der Autor beleuchtet indes auch zahlreiche andere Gründe, die zu dem am 3. Juli 1866 erlittenen Debakel der österreichischen Nordarmee beitrugen. Da war einmal das geopolitische Genie Bismarcks, der alles daran setzte, ein geeintes Deutsches Reich unter preußischer Führung zu schaffen. In einem solchen Konstrukt war für den Vielvölkerstaat Österreich kein Platz – sosehr Kaiser Franz Josef sich auch als „deutscher Fürst“ fühlen mochte. Der von Preußen und Österreich 1864 gemeinsam gegen Dänemark geführte Krieg, respektive dessen Ergebnis, lieferte dem preußischen Ministerpräsidenten die Ausgangsbasis für den von ihm gewünschten Konflikt mit den ungeschickt taktierenden Österreichern. Sein im April 1866 geschlossenes gegen Österreich gerichtetes Bündnis mit Italien, nötigte Kaiser Franz-Josef zu einer Zersplitterung seiner ohnehin nicht allzu starken Kräfte. Zum anderen darf die weitaus bessere Organisation und Disziplin der preußischen Truppen nicht übersehen werden. Den Generalstab der Nordarmee als „chaotisch“ zu bezeichnen, ist mit Sicherheit nicht übertrieben. Der mit seinem Kommando ohnehin überforderte Feldzeugmeister Benedek stand am Tag der Schlacht faktisch ohne Generalstab da und hatte zudem mit offener Insubordination einiger Korpskommandanten zu kämpfen. Zuletzt kam also alles so, wie es kommen musste.
Kontrafaktische Geschichtsbetrachtungen ändern zwar nicht an den Ereignissen, liefern aber mitunter reizvolle Einsichten und Erkenntnisse: Wären nicht starke Teile der österreichischen Armee auf dem italienischen Schauplatz gebunden gewesen (die eineinhalb Wochen vor Königgrätz bei Custozza einen beachtlichen Erfolg gegen zahlenmäßig überlegene Feindkräfte erringen konnten); wäre anstelle des mit seiner Aufgabe überforderten, greisen Benedek, der Sieger von Custozza, Erzherzog Albrecht mit dem Kommando der Nordarmee betraut gewesen; und hätte schließlich nicht eine Reihe von Fehleinschätzungen dazu geführt, auf den waffentechnischen Vorteil eines Hinterladergewehrs zu verzichten; die europäische Geschichte hätte einen völlig anderen Verlauf nehmen können.
Denn, und das arbeitet der Autor sehr schön heraus, „Königgrätz“ war nicht einfach eine Schlacht von vielen. Nein, hier erfolgte eine entscheidende europäische Weichenstellung. Ohne den preußischen Sieg keine „kleindeutsche Lösung“, kein „Deutsches Reich“ unter preußischer Führung und – wer weiß – vielleicht kein als „Urkatastrophe Europas“ in die Geschichte eingegangener Erster Weltkrieg.
Ohne die überragende und opferreiche Leistung der österreichischen Artillerie, wäre die Schlacht vermutlich in ein Massaker ausgeartet. So aber konnte der glücklose Benedek wenigstens das Gros seiner Verbände vor ihrer völligen Vernichtung bewahren.
Kurzbiographien der Staatsmänner beider Seiten und der an der Front eingesetzten Kommandeure, sowie Schilderungen der an Nebenkriegsschauplätzen am Main (wo es zum hoffnungslosen Kampf der zusammengewürfelten Bundesarmee gegen die Preußen kam) und in Italien (wo es angesichts der politischen Umstände für Österreich militärisch nichts mehr zu gewinnen gab) abgelaufenen Ereignisse, komplettieren das Bild.
Einzig zu beklagender Mangel: Der völlige Verzicht auf Kartenmaterial, der es dem Leser beinahe unmöglich macht, die minutiös geschilderten Manöver nachzuvollziehen.
1966 Königgrätz
Helmut Neuhold
Marix Verlag
253 Seiten, Hardcover
ISBN: 978-3-7374-1011-3
6,- Euro
———-
Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher