Von Schulden und Ersparnissen – Eine Verständnisfrage

Für die neoklassische Ökonomie stellt eine möglichst großzügige Kreditvergabe den Schlüssel zur Prosperität dar. Kaum schwächelt die Konjunktur – schon erschallt der Ruf nach „billigem Geld“. Seitdem Maynard Keynes den Sparer in seiner „General Theory of Employment, Interest and Money“ (1936) zum Schädling erklärt hat, der durch sein ruchloses Verhalten („Unterkonsumption“) der Wirtschaft ihr Lebenselixier entzieht, ist der Schuldenmacher zum Darling der Wirtschaftswissenschaften avanciert.

Gegen die Finanzierung eines wohldurchdachten Projekts mittels Kredit ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings ist eine nachhaltige Kreditfinanzierung nur dann möglich, wenn vom Kreditor zuvor das Opfer des Konsumverzichts gebracht wurde – wenn er also gespart hat. Diese Einsicht ist in unserer Zeit unbegrenzter Geldproduktion völlig verloren gegangen.

Das frühe Bankwesen hatte, neben seiner Funktion der sicheren Verwahrung von Vermögensbeständen, die Aufgabe, zwischen Sparern und Investoren zu vermitteln. Nicht akut benötigte, auf der Bank deponierte Gelder wurden – das Einverständnis deren Besitzer vorausgesetzt – Dritten gegen Entgelt (Zinsen) für eine zuvor bestimmte Zeit überlassen. Die Aufgabe des seriösen Bankiers bestand in der Fristentransformation, um Liquiditätsengpässe auszuschließen. Die Höhe der gewährten Kredite war durch die Höhe der Einlagen limitiert.

Ein vom österreichischen Ökonomen Eugen von Böhm-Bawerk (1851 -1914) erdachtes Bild, soll die Bedeutung des Sparens veranschaulichen:

Robinson sitzt auf seiner Insel und lebt von der Hand in den Mund. Seine Methoden zur Nahrungsbeschaffung sind primitiv. Er kann mit bloßen Händen nur wenig mehr heranschaffen, als er zum Überleben benötigt. Er plant daher, Gerätschaften (etwa ein Fischnetz) zu fertigen, die es ihm ermöglichen sollen, seinen Arbeitsertrag zu steigern und sein Leben zu erleichtern. Zu diesem Zweck bildet er über einige Zeit hinweg Nahrungsreserven, die ihn in die Lage versetzen, an seinem Projekt zu arbeiten, ohne in dieser Zeit jagen, fischen oder sammeln zu müssen.

Der gebildete Vorrat an Fischen und Kokosnüssen, reicht für die paar Tage, in denen er an seinen Werkzeugen arbeitet. Um den erforderlichen Vorrat (die notwendige Ersparnis) aufzubauen, muss er seinen Konsum entsprechend einschränken. Anschließend konsumiert er das Ersparte, während er sein Vorhaben umsetzt. Hätte er nichts gespart, wäre es ihm nicht möglich gewesen, seine Lebensumstände durch die Produktion von „Kapitalgütern“ zu verbessern. Der Zusammenhang zwischen Ersparnis, Investition und Konsequenz daraus liegt auf der Hand.

Der deutsche Ökonom Hans-Hermann Hoppe hat das Beispiel erweitert, um das Wesen des Sachkredits zu erläutern: Der ebenfalls auf der Insel gestrandete Freitag, blickt begehrlich auf die deutlich besseren Lebensumstände Robinsons und trägt sich mit dem Gedanken, seine eigene Nahrungsmittelproduktion zu steigern, indem er ein Stück Dschungel urbar macht und bebaut. Das Vorhaben wird ihn einige Zeit kosten, in der er keine Möglichkeit hat, Lebensmittel zu beschaffen. Da er keine Lust verspürt, sich Vorräte vom Mund abzusparen, bittet er Robinson um einen Kredit in Form von Nahrungsmitteln, die ihn über eine entsprechende Zeitspanne hinweg ernähren sollen.

Robinson willigt ein und händigt Freitag einige getrocknete Fische und ein paar Kokosnüsse aus – gegen dessen Zusage, diese nach dem erfolgreichen Abschluss des Projekts, nicht nur in gleicher Zahl, sondern „verzinst“ zurückzuerhalten (sechs für jeweils fünf Fische und Kokosnüsse). Es ist klar, dass das Rodungsprojekt nur dann erfolgreich durchgeführt werden kann, wenn Freitag tatsächlich Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden, die der Kreditgeber Robinson zuvor – mittels Konsumverzichts – angehäuft hat. Hätte Robinson in Wahrheit nichts gespart und würde Freitag lediglich einen Kreditbrief mit dem Vermerk „Lebensmittel“ aushändigen, wäre dem damit augenscheinlich nicht gedient. Das geplante Projekt könnte nicht verwirklicht werden.

Die heute von den Geschäftsbanken vergebenen Kredite, basieren allesamt nicht auf real gebildeten Ersparnissen, sondern entstehen aus dem Nichts. Es ist nicht einmal mehr nötig, dem Kreditwerber (intrinsisch wertlose) Papierscheine aushändigen. Eine elektronische Buchung erfüllt denselben Zweck. Es gibt, um im obigen Bild zu bleiben, weder Fische noch Kokosnüsse. Kein realer Wert wechselt den Besitzer.

Im Robinson-Freitag-Beispiel ist der Sachverhalt für jedermann offensichtlich. Ein buchstäblich aus gar nichts bestehender „Kredit“ in Form einer bloßen Zusage, würde keinen Sinn ergeben. In der modernen Welt des „Fiat-Money“ ist der Zusammenhang allerdings derart gut verschleiert, dass sich die dahintersteckende Illusion nur einschlägig informierten, kritischen Geistern erschließt. Den alten Traum der Alchemisten, Blei in Gold zu verwandeln, haben die modernen Banker scheinbar sogar weit in den Schatten gestellt. Sie geben vor, zu können, was bislang allein Gott vorbehalten war: Etwas aus dem Nichts zu schaffen. Wie die großen Bühnenmagier verstehen sie sich darauf, das staunende Publikum hinters Licht zu führen und mit ihrem Hokuspokus zu beeindrucken. Im Fall des Zauberers weiß indes jeder: Alles nur Show – alles nicht real. Dieselbe Einsicht fehlt im Falle des Geldalchemisten von der Bankfiliale nebenan, leider vollständig.

Eine Illusion kann die Wirklichkeit aber nicht dauerhaft ersetzen. Mit auf nichts weiter als auf heiße Luft gegründeten „Investitionen“, ist ein nachhaltig erfolgreiches Wirtschaften unmöglich.

Wer wollte sich, angesichts des frivolen Treibens der zeitgenössischen Finanzmagier, ernsthaft über „Blasenbildungen“ und die insgesamt krisenhafte Entwicklung unserer Wirtschaft wundern?

Ohne eine Rückkehr zu einem soliden, werthaltigen Geld und einer Rechtsordnung, in der offensichtlich betrügerische Kreditmanipulationen durch Zentral- und Geschäftsbanken rigoros geahndet werden, wird die Welt die anhaltende Schulden- und Finanzkrise wohl niemals überwinden…

Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher