Besser tausend Liechtensteins…! – Ein zeitgenössisches Märchen

Die vielköpfige Familie G wohnt am Rande der großen Siedlung E. Deren Gebiet und die Zahl der darin liegenden Häuser haben sich in den zurückliegenden Jahren beträchtlich vergrößert. Waren es zu Beginn nur stattliche Villen, die sich im Zentrum des Siedlungsgebietes erhoben, kamen im Laufe der Zeit auch einige weniger schmucke Baulichkeiten dazu. Die der Familie G ist eine davon.

Solange die Hütte der Gs noch außerhalb des Siedlungsgebietes von E lag, hatten die es schwer, Geldgeber zu finden, die bereit waren, ihnen Konsumkredite zu gewähren. Wenn doch, mussten sie dafür hohe Zinsen bezahlen. Zu wenige Sicherheiten – zu hohes Risiko. Das änderte sich schlagartig, als die Gs Siedlungsgenossenschafter wurden und der Glanz der Villen des Zentrums nun auch auf ihre baufällige Baracke strahlte. Plötzlich gab es Geld zu günstigen Konditionen.

Während im Zentrum der Gründung von jeher eifrige Geschäftigkeit herrschte – alle dort lebenden Bewohner arbeiteten ebenso hart wie produktiv und wirtschafteten sparsam, wodurch sie ihren Wohlstand über die Jahre beträchtlich erhöhen konnten – ließ man es in der Peripherie, wo Familie G lebte, eher gemütlich angehen. Man machte hier von jeher schon gerne einmal blau und ließ auch sonst oft fünfe grade sein. Man machte hohe Schulden und kam schließlich so weit, dass weit und breit kein Kreditgeber mehr bereit war, Geld vorzustrecken – und wenn, dann nur zu jetzt unbezahlbar in die Höhe geschraubten Zinsen. Der Schrecken eines Privatkonkurses dräute.

In diesem Moment fügte es sich, dass die Familienvorstände der übrigen Siedlungsbewohner übereinkamen, den Gs aus ihrer im Konsumrausch selbst verschuldeten Patsche zu helfen. Innerhalb der einzelnen Hausgemeinschaften kam es darüber zu zum Teil heftigen Debatten. Nicht all deren Familienmitglieder waren der Meinung, dass es eine gute Idee ist, das Lotterleben der Bewohner des Siedlungsrandes mit ihrem guten Geld zu unterstützen, für das sie hart arbeiten mussten.

Am Ende aber schlugen die Familienvorstände alle Bedenken in den Wind und übernahmen Bürgschaften zu Gunsten der Gs. So konnten die Banken dazu bewegt werden, denen weiterhin günstige Kredite zu gewähren. Immerhin taten sie das nicht ohne die ernsthafte Ermahnung, künftig weniger zu saufen und zu spielen und dafür etwas mehr zu arbeiten. Vergebens: Die Familie G steigerte ihre Freizeitaktivitäten noch weiter, ließ am Ende sogar ihren Garten verkommen und konnte schließlich nicht einmal mehr genügend Küchenkräuter ernten, um sich damit eine Suppe zuzubereiten.

Um das Unheil zu komplettieren, verständigte sich jetzt auch noch die Bürgengemeinschaft, die sich mit wachsenden Forderungen der Banken konfrontiert sah, darauf – spät aber doch – auf eine Rückzahlung der von den Gs eingegangenen Verbindlichkeiten zu dringen. Außerdem machten sie die Verlängerung ihrer Bürgschaften vom Wohlverhalten von Familie G abhängig. Nur nach Vorlage eines Entschuldungsplanes und der Glaubhaftmachung ernsthafter Bemühungen um eine einträgliche Arbeit, sollten die bisher gewährten Hilfen fortgesetzt werden.

Das an einer schweren Form des Tourette-Syndroms leidende Familienoberhaupt der Gs nannte dieses Ansinnen seiner Wohltäter prompt eine glatte Erpressung, ja sprach sogar von „Terrorismus“, und berief zum Erstaunen aller anderen Siedler einen Familienrat ein. Der sollte darüber befinden, ob man auf die Forderungen der Geldgeber eingehen sollte, wie einige der Clanangehörigen meinten, oder besser nicht.

Die Entscheidung fiel eindeutig aus. Die Gs dachten mehrheitlich nicht daran, über Einschränkungen ihres Lebenswandels nachzudenken. Ihre (zum Teil sogar ärmlicheren) Gläubiger hätten kein Recht, sich in die Gestaltung ihrer Lebensentwürfe einzumischen. Der Familienclan habe schließlich eine mehrheitlich-demokratische Entscheidung getroffen, die alle übrigen Siedlungsbewohner zu respektieren hätten. Deshalb habe man Anspruch auf Teilhabe am Wohlstand des Kollektivs der übrigen Siedler von E und erwarte daher die sofortige Fortsetzung der Alimentationszahlungen – und zwar ohne dafür den Geldgebern irgendein Zugeständnis zu machen, denn das verletze ihre Würde.

Die Familienvorstände der übrigen Häuser der Siedlung sahen sich gehörig düpiert. Immerhin hatten sie sich Jahrelang über alle Bedenken besorgter Familienmitglieder hinweggesetzt – im anmaßenden Bewusstsein, es einfach besser zu wissen. Peinlich. Außerdem war da noch auf die Interessen der befreundeten, wohlbefestigten und hoch gerüsteten Siedlung U Rücksicht zu nehmen, ohne deren militärischen Schutz E sich gegen die (zumindest von den Führern von U behauptete) Bedrohung der angeblich latent aggressiven Nachbarsiedlung R niemals wehren könnte.

U hatte, das darf nicht übersehen werden, mit Blick auf seine unangefochtene Führungsmacht, jedes Interesse an einem schwachen E. Denn U wünscht keine auf Augenhöhe agierende Partner, sondern willfährige Vasallen. Getreu der Erkenntnis, dass eine Kette nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied, war und ist die Elite von U daher daran interessiert, die Gs im Siedlungsverband von E zu halten – koste es dessen Bewohner, was es wolle. Die Häupter von E hatten es niemals gewagt, ihre eigenen Interessen gegen jene des mächtigen U zu behaupten, was sich nun als schwerer Fehler herausstellte.

Da Kurzsichtigkeit das systembildende Merkmal demokratisch verfasster Siedlungen wie E und U ist, blicken die pragmatisch und grundsatzfrei im Augenblick lebenden Eliten derselben, nie über den Tellerrand hinaus. So kommt ihnen nicht in den Sinn, dass in der Nachbarschaft der Gs einige andere Familien ebenfalls seit Jahren über ihre Verhältnisse leben. Die könnten nun dazu inspiriert werden, ihrerseits an der Strategie der Gs Maß zu nehmen und ebenfalls auf Daueralimentierung durch die „reichen“ Villenbewohner dringen. Das allerdings würde über die Kräfte der verhältnismäßig wenigen Leistungsträger der Siedlung gehen und zu deren wirtschaftlichem Zusammenbruch führen – was übrigens auch nicht in Us Interesse liegen kann. Hier endet die Geschichte. Es bleibt jedermanns Vorstellungskraft überlassen, sich deren weiteren Verlauf auszumalen…

Die Erzählung ist natürlich frei erfunden. Denn während sich innerhalb einer Familie jeder auf den Altruismus ihres Oberhaupts verlassen kann, ist es undenkbar, dass dieses sich – zugunsten wildfremder Menschen – über die Interessen seiner Lieben hinwegsetzen und diese sehenden Auges ins Unglück führt. Eigennutz ist – seit der Vertreibung des Menschen aus dem Garten Eden – vis à vis von Fremden einfach überlebenswichtig.

Kredite an außerhalb der Familie Stehende gewährt ein verantwortungsvoller Mann nicht ohne solide Sicherheiten. Bloße Absichtsbekundungen des Schuldners reichen ihm nicht. Bürgschaften geht er nur ein, wenn der Debitor ein enger Freund oder Verwandter ist und/oder er ihm bedingungslos vertrauen kann. Im realen Leben finanziert niemand freiwillig und ohne jeden eigenen Nutzen den Müßiggang und das Luxusleben von Wildfremden auf seine Kosten oder auf die der eigenen Sippe.

In der politischen Sphäre hingegen – namentlich in einer Massendemokratie mit allgemeinem, gleichem Wahlrecht – gelten andere Regeln. Hier bestimmt nur und ausschließlich das Eigeninteresse der Führer, die dank überlegener List und Tücke an die Macht gekommenen sind, deren Denken und Handeln. Altruismus wirkt in der Demokratie autodestruktiv. Die Grundsätze von Treu und Glauben und der Notwendigkeit einer Erfüllung von Verträgen, sind hier unbekannt. In Massendemokratien, in denen zuverlässig stets die Übelsten an die Macht kommen, kann es daher durchaus zu Ereignissen, wie den oben geschilderten kommen. In kleinen, überschaubaren Einheiten dagegen eher nicht. Nicht umsonst stehen Kleinstaaten wie die föderative Schweiz, Singapur oder Neuseeland so bemerkenswert gut da. Nicht umsonst lautet das Credo des libertären deutschen Ökonomen Hans-Hermann Hoppe: „Besser tausend Liechtensteins, als eine EU!“

Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher