In den prachtvollen Räumlichkeiten der Wiener Nationalbibliothek, geht am dritten Dezember die unter dem Motto „Die Zukunft Europas“ stehende Feier anlässlich des zehnjährigen Bestehens der von Rahim Taghizadegan geführten, privaten Bildungseinrichtung „Scholarium“ über die Bühne. Rund 100 Teilnehmer dürfen sich der interessanten Vorträge und des gebotenen kulinarischen und künstlerischen Rahmenprogramms erfreuen.
In einem Land mit einer im Bildungsbereich ausgeprägten Nulltarifmentalität (der Staat legt nicht nur fest, was als Bildung zu gelten hat, sondern stellt sie freundlicherweise auch weitgehend „gratis“ zur Verfügung), ist es für private Wettbewerber nicht einfach, sich zu behaupten, ohne ihre Unabhängigkeit den Sonderinteressen potenter Geldgeber zu opfern. Rahim Taghizadegan und seinen Mitstreitern scheint dieses schwierige Kunststück zu gelingen.
Rahim Taghizadegan eröffnet die Vortragsserie, mit seinem Beitrag „Geschichte und Zukunft Europas“, in dem er einen sowohl in zeitlicher als auch geographischer Hinsicht großen Bogen schlägt. Geographische Gegebenheiten – insbesondere die Lage von Flüssen und Gebirgsketten innerhalb des eurasischen Kontinents, begünstigen die Entwicklung sehr gegensätzlicher Kulturen. Europa ist kleinteilig und zerklüftet, schwer zentral zu beherrschen und bringt erst recht spät Hochkulturen hervor. Asien ist anders: Hier herrschen großflächige Steppenlandschaften vor, in denen sich militärisch überlegene Reitervölker formieren, die immer wieder in den westlichen Teil des eurasischen Kontinents einfallen.
Die in großen Teilen Asiens herrschenden klimatischen Bedingungen (stark schwankende feucht-trocken-Perioden) treiben die Ausbildung kollektivistischer Strukturen entlang der großen Flüsse voran (nach Wittfogel: „hydraulische Systeme“). Dadurch wird bereits früh ein „statusorientiertes Leben“ – nahe an den Zentren und in größtmöglicher Nähe zu den Machthabern – erstrebenswert.
Eine bemerkenswerte Tatsache ist, dass Einigungsbestrebungen im kleinräumigen Europa regelmäßig weitere Spaltungen nach sich ziehen. Der Philosophie gelingt es nicht, ein einheitliches intellektuelles Fundament zu schaffen, was den persisch-islamischen Gelehrten Al-Ghazali dazu veranlasst, über die „Inkohärenz der Philosophen“ zu schreiben.
Auf die Ära der von Griechenland ausgehenden Philosophie folgt die des vom Imperium Romanum getragenen römischen Rechts. Darauf kommt es schließlich zur Ausbreitung und zum Universalismus des Christentums.
Mit der wachsenden Bedeutung der Städte und des Handels eng verbunden, ist der Aufstieg des Bürgertums, das als Machtfaktor neben Thron und Altar tritt. Universitäten etablieren sich als von den Städten emanzipierte, autonome Entitäten.
Während Europa sich aufmacht, die Welt mit seinen Schiffen zu erobern, geht das Reich der Mitte einen anderen Weg: die Hochseeschifffahrt wird aufgegeben, die eigene Flotte zerstört und China konzentriert sich fortan ganz auf sich selbst.
Derweil laufen alle europäischen Anläufe zur Einigung auf die Schaffung eines „umfassenden Friedens“ hinaus – und scheitern allesamt. Die Kleinteiligkeit der Strukturen hält indes auch alle begangenen Fehler verhältnismäßig klein. Europa wird zum „Nettoexporteur von Wahnsinnigen“. Immerhin haben gute 90% aller irrsinnigen Ideen (wie z. B. sämtliche neuzeitlichen Totalitarismen) europäische Urheber.
These: Widerkehrende Einigungsprojekte schaffen soziales Kapital in Europa. Das derzeit herrschende „Papiergeldzeitalter“ (quasi das „hydraulische System“ der europäischen Moderne) kommt gegenwärtig ins Wanken – vielleicht gar an sein Ende. Die laufende Massenzuwanderung ist nicht Ursache, sondern Symptom einer schweren Krise, die gekennzeichnet zu sein scheint von einer Sehnsucht nach einem Zurück in die Zeit vor der Aufdeckung aller Illusionen. Das jedoch ist zutiefst uneuropäisch. Europa steht für den Blick nach vorn – für großen Weitblick.
Sollte das Einigungsprojekt der EU nicht scheitern, wäre damit das „Niederbügeln“ sämtlicher fruchtbringender Widersprüche verbunden. Denn Widerspruch und Zweifel bilden den Nährboden jeden Erkenntnisgewinns.
Der in Angers/Frankeich lehrende deutsche Ökonom Guido Hülsmann stellt seinen Beitrag unter den Titel: „Die kulturellen Verzerrungen des Papiergeldzeitalters“. Als „Papiergeldzeitalter“ definiert er den Zeitraum der letzten 200 Jahre. Papiergeld dient nie einem anderen Zweck als dem der kostengünstigen Herstellung und der damit verbundenen Möglichkeit zur theoretisch unbegrenzten Ausdehnung seiner Menge. Stünden die Geldverwender vor der Wahl zwischen einem seinen Wert haltenden und einem Geld, für das dies nicht zutrifft, wäre die Entscheidung klar: Jeder würde wertstabiles Geld vorziehen – in aller Regel also Edelmetalle. Sich entwickelnde Gesellschaften mit wertstabilem Geld leben daher tendenziell in einer Deflationskultur.
In den USA besteht, was manche überraschen mag, eine deutlich längere Inflationskultur als in Europa. „Uneinlösbares“ Papiergeld (Banknoten, deren Vorlage keinen Rechtsanspruch auf Eintausch gegen Gold oder Silber begründet) gibt es in Europa erst ab dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Erfolgt die Geldmengenausweitung zunächst mittels der Geldproduktion, so läuft diese heute hauptsächlich über die Gewährung von Krediten. Bis zum 19. Jahrhundert geht die Geldmengenausweitung (dank des rasanten technischen Fortschritts, der preisgünstigere Produktionsmöglichkeiten schafft), noch nicht mit einer Preisinflation einher, ändert sich das im 20 Jahrhundert drastisch.
Besonders in Kriegszeiten zieht die Preisinflation stark an, ohne sich dann nach Friedensschluss wieder zurückzubilden. Ein echtes Preisinflationszeitalter kann man die Zeit ab 1945 nennen. Die inflationistische Papiergeldkultur führt zu einem allgemeinen Werteverfall. Die Kurzfristigkeit des Denkens und Planens nimmt zu. Der Wohlfahrtsstaat tut ein Übriges und sorgt für kollektive Korruption. Der mit der zentralisierten Geldschöpfung verbundene Cantillon-Effekt sorgt für eine Wohlstandsumverteilung zugunsten derjenigen, die nahe an den Macht- und Geldzentren sitzen. Die Anreizstrukturen gehen in Richtung „Moral Hazard“.
Erstmals können Einkommen erzielt werden, die nicht auf Eigentum (an Gütern oder Fähigkeiten) beruhen, sondern auf dem bloßen Besitz von Fiat Money. Das Vermögen wird erstmals zur Einkommensquelle – ohne dass dabei Werte geschaffen werden. Produktion wird zugunsten des Konsums zurückgefahren. Die Gesellschaft beginnt von der Substanz zu leben. Lohnen sich Kredite in einem „Echtgeldsystem“ letztlich nur für Unternehmer, die den geforderten Zins durch Produktion erwirtschaften können, wird nun der Konsumentenkredit interessant. Die Kapitalbasis wird dadurch weiter geschmälert.
Es kommt zur Trias von Wertverschiebung, Wertverfall und Werteumkehrung. Neue profitable Geschäftsfelder entstehen (Juristen, Steuer- und Wirtschaftsberater), die allesamt eines gemeinsam haben: sie schaffen keinen gesellschaftlichen Mehrwert. Das Eigentum verliert zunehmend an Bedeutung. An seine Stelle tritt die Nutzbarmachung von Eigentum (Schumpeter schreibt von einer „Verflüchtigung des Eigentums“). Der „Benutzer“ von Eigentum steht diesem – anders als der Eigentümer selbst – indifferent gegenüber. Sein langfristiges Schicksal interessiert nicht. Symptom dieser Indifferenz ist die sagenhafte Gleichgültigkeit, mit der katastrophale politische Fehlentscheidungen von den Menschen hingenommen werden.
Derzeit besteht keine Hoffnung, dass der in der Werteumkehrung (Sparen ist schädlich, hässlich ist schön, Schwulsein das Allergrößte) zum Ausdruck kommende Verfall zu einem baldigen Ende kommen könnte.
Der Ökonom Hans-Hermann Hoppe spricht über „Die Amerikanische Ideologie“. Diese erhebt heute den Anspruch auf globale Gültigkeit und Vorherrschaft. Am Wesen der von Francis Fukuyama gepriesenen „liberalen Demokratie“ nach US-Vorbild, soll die Welt genesen. Würde in allen Staaten der Welt gedacht und gehandelt werden wie in den USA, lebten wir in einer perfekten Welt.
Doch da es auch (noch) andere Staatsformen gibt, sind diese zu unterwandern, gleichzuschalten und zu transformieren – um die ganze Welt zu einem Hort von Frieden und Sicherheit zu machen. Denn Demokratien sind inhärent friedlich und führen niemals Kriege gegeneinander. Alle von den USA geführten Kriege (und das sind nicht wenige), dienen daher nur und ausschließlich der Friedenssicherung – quasi als präventive Polizeiaktionen. Im Moment sind nur noch zwei ernstzunehmende Widerstandszentren übriggeblieben: Russland und China.
Der Staat stellt jene soziale Gerechtigkeit her, die der Markt schuldig bleibt. Gier und Gewinnstreben waren für die letzte große Wirtschaftskrise verantwortlich. Der Markt hat vollkommen versagt. Nur das beherzte Eingreifen des wachsamen Staates konnte das Schlimmste verhindern. Nur eine entschlossene Doppelstrategie von gleichzeitigem Investieren und Befeuern des Konsums konnte aus der Krise führen. Jeder zu Hause gehortete Cent fehlt dem Wirtschaftskreislauf. Sparen ist schädlich. Kreditfinanzierter Boom das Ziel.
Wenn der Kampf gegen die Krise erst gewonnen ist, steht der gegen die Ungleichheit und gegen die Diskriminierung an erster Stelle. Schließlich sind alle Menschen gleich. Und die übelsten Diskriminierer dieser Welt sind nun einmal weiße, heterosexuelle Männer in ihren patriarchalischen Strukturen der traditionellen Familie.
Als Wiedergutmachung an den von den entwickelten Staaten ausgebeuteten Weltregionen, ist der Multikulturalismus und die massenhafte Einwanderung in die erste Welt zu fördern. Und ist erst der verhängnisvolle Partikularismus überwunden, lässt sich endlich auch der Kampf gegen den Klimawandel mit größtmöglicher Intensität führen und gewinnen.
An diesem Punkt angelangt, beginnt sich mancher im Auditorium zu fragen, ob mit HHH möglicherweise etwas nicht stimmen könnte. Doch prompt folgt die Erlösung: Er bekennt nämlich, dass er all das Gesagte für einen „riesigen Schmarrn“ hält – und zudem für höchst gefährlich.
Nachdem die beklagenswerte Mittelmäßigkeit des politischen Personals dafür garantiert, dass derart monströser Unfug nicht aus ihren Giftküchen stammen kann, erhebt sich die Frage nach dessen Urhebern. HHH identifiziert hierfür die (staatsbesoldeten) Intellektuellen. Der Markt und die Einkommensmöglichkeiten für die Hervorbringungen von Intellektuellen ist klein. Nur ein Bruchteil ihrer Zahl könnte – in Abwesenheit des Staats – überleben. So werden sie zu Symbionten der mediokren Politnomenklatura, um zum Schaden der Steuerzahler tätig zu werden.
Die in früheren Zeiten bestehende Allianz zwischen Thron und Altar wird in den Tagen des amerikanischen Zeitalters ersetzt durch die Allianz aus Demokraten und Intellektuellen.
Was kann man dagegen tun? Immer wieder das Wort erheben und auf die herrschenden Umstände hinweisen. Die den Staat führende Banditenbande das nennen, was sie ist und mit Verachtung, Hohn und Spott übergießen. Parallel dazu ist die Zahl der Staatsintellektuelle radikal auszudünnen und bestimmte „wissenschaftliche“ Fakultäten (wie etwa die Genderforschung) überhaupt abzuschaffen.
Mit dem Hinweis auf das Entstehen privater Stätten der Wissensvermittlung, wie das Scholarium eine ist, bleibt bietet HHH immerhin einen Lichtblick am Ende seiner Ausführungen.
Der Gründer des Liberalen Instituts in der Schweiz, Robert Nef stellt sein Referat unter den Titel „Die große Ent-täuschung, Alternativen zum EU-Zentralismus und zum Neo-Nationalismus“. Er eröffnet sein Plädoyer für eine Abkehr von Gigantomanie und Zentralismus mit einem launigen Zitat Nestroys: „Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum so wenig?“ und setzte mit einer Variation fort: Die Griechen haben die Politik erfunden. Aber warum so viel?
Bei jeder Veränderung stellt sich die entscheidende Frage nach dem Weg von A nach B. Da es sich bei der Politik um ein Experiment von Menschen mit Menschen handelt, ist Vorsicht geboten. Der Euro-Zentralismus ist in die Krise geraten, da ihm vielfach die Antworten auf brennende Fragen fehlen. Die Top-Down-Politik der EU ist problematisch. Eine Rückbesinnung auf Subsidiarität und damit verbundene Bottom-up-Entscheidungen bietet Chancen für eine bessere Politik.
Das Konzept des für alles zuständigen und alles erstickenden Daseinsvorsorge- und Umverteilungsstaates ist gescheitert. Preise sollten wieder an die Stelle von Zwangsabgaben treten. Im 19. Jahrhundert trat der Glaube an den allmächtigen Staat an die Stelle des Glaubens an einen allmächtigen Gott. Dieser Glaube ist indes hochproblematisch. Die auf materielle Umverteilung basierende Massendemokratie hat mit einer zivilgesellschaftlichen Ordnung nichts gemein.
Spätestens seit dem New Deal der Zwischenkriegszeit haben Staat und Wirtschaft auch in den USA viele Merkmale eines „Crony Capitalism“, d. h. eines Mischsystems, bei dem „Big Business“, „Big Government“ und „Big Finance“ enger zusammenwirken als dies einer Marktwirtschaft zuträglich ist. Da eine solche korporatistische Vernetzung eine große Zahl von Nutznießern hervorbringt, ist die komplexe Mischung von Semi-sozialismus und Semi-kapitalismus über Parteigrenzen hinweg mehrheitsfähig. Sie wird innenpolitisch als „alternativlos“ und außenpolitisch als Königsweg in größere, weltweit vernetzte, politisch- ökonomische Gemeinschaften bezeichnet.
Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, ist dagegen ein Ausdruck des gedanklichen Wandels. Viele Briten erhofften und erhoffen sich von einer vermehrt auf nationale Interessen ausgerichteten Politik, eine Steigerung des Wohlstandes. Dabei fällt auf, dass ausgerechnet viele antizentralistische Schotten von einem Verbleib in der EU mehr an Autonomie erhofften als von einem neonationalistischen britischen Korporatismus. Dieser wird nämlich erfahrungsgemäß weitgehend vom Zentrum London aus gesteuert.
Auch die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA lässt sich auf dem herkömmlichen Links-Rechts-Schema kaum einordnen. Trump will nicht weniger Umverteilung und weniger Sozialpolitik, sondern eine andere, mit andern Begünstigten. Wenn „rechts“ mit „Pro- Markt“ und „Pro- Freihandel“ und „Weniger Staat“ assoziiert wird, ist Trump nicht „rechts“, sondern ein national ausgerichteter Etatist. Die freihändlerische, antietatistische Rechte ist eben meilenweit von der nationalistischen und merkantilistischen Rechten entfernt.
Das Schweizer Modell einer kleinteiligen Ordnung mit wenig Umverteilung bietet indes eine brauchbare Alternative. Immerhin bewegt sich die Schweiz sehr viel langsamer in die falsche Richtung als der zentralistisch organisierte Rest der Welt.
Die „goldene Ära“ der Schweiz verortet Robert Nef in der Zeit zwischen 1848 und 1873, als der Bund über keinerlei eigene Mittel verfügte und alle politischen Ämter ehrenamtlich besetzt waren. „Politiker, die ohne Geld dastehen, sind ein Idealbild.“
Frédéric Bastiat hat das Wesen der Demokratie so definiert: „Sie nimmt von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen und verspricht beiden, sie vor den jeweils anderen zu beschützen.“ Das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters mit seiner nicht zu bremsenden Tendenz zur Verschuldung und zum „Leben auf Kosten Dritter“ naht nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil seine Fehlstrukturen auf die Dauer finanziell nicht tragbar sind. Es scheitert an ökonomischen und anthropologischen Gegebenheiten. Was ohne massiven Zwang und Enteignungen nicht finanziert werden kann, funktioniert auf die Dauer nicht befriedigend und friedlich, und was nicht funktioniert, kann auch nicht gerecht und politisch erwünscht sein und, vor allem: es taugt nicht für eine dauerhafte, friedliche Ordnung.
In den letzten 10 Jahren hat sich gezeigt, dass sich die großen Hoffnungen und Erwartungen, die mit einer immer intensiveren Verknüpfung kontinentaler Zusammenschlüssen, insbesondere an die Europäische Union verbunden worden sind, nicht erfüllt haben. Auf der Basis eines dicht regulierten Binnenmarktes hat sich weder eine außenpolitische Sicherheitsunion, noch eine Sozialunion, noch eine Fiskalunion entwickelt, und der Euro hat lediglich die Nord-Süd- Umverteilung in einer Transfer-Union bewirkt, die im Widerspruch zum Verfassungsvertrag von Lissabon steht.
In der Politik kommt es immer wieder zu Situationen, in denen Maßnahmen das Gegenteil von dem bewirken, was sie beabsichtigen und was von den Propagandisten behauptet wird. Das Subsidiaritätsprinzip wird dadurch oft bei der Anwendung in sein Gegenteil verkehrt, weil immer wieder neue Argumente für die „bessere“ Zuordnung an zentralere und höhere Instanzen gefunden werden. Es muss daher in dem Sinn präzisiert und radikalisiert werden, dass es für die Rückgabe von Kompetenz, Verantwortung und Finanzierung an die möglichst kleine bzw. problemnahe autonome bzw. privatautonome Trägerschaft optiert, sobald ein Problem auf der höheren zentraleren Stufe nicht mehr adäquat gelöst bzw. nachhaltig finanziert werden kann.
Der Begriff der Dezentralisierung sollte durch den der Nonzentralisierung ersetzt werden. Ein „Rückfall“ vom transnationalen Imperium auf den Nationalstaat ist dabei aber nicht genug. Die Optimierung der öffentlichen Finanzen wird durch die in kleineren Einheiten erhöhte Transparenz möglich.
Die EU ist eine veraltete Fehlkonstruktion. Sie setzt hoheitliche Regulierungen an die Stelle frei gebildeter Preise. Ein „Binnenmarkt“ ist das genaue Gegenteil von Freihandel. Denn die Öffnung für den Freihandel ist ein konsequenter Ausstieg aus dem Protektionismus. Wer ihn praktiziert, bezahlt allerdings den Preis, dass Freihandel kurzfristig und branchenbezogen auch Nachteile mit sich bringen kann. Freihandel ist seinem Wesen nach ein praktiziertes Friedensangebot an alle. Nefs Credo: Vielfalt statt Einfalt. Als die „sechs Säulen“ einer freiheitlichen Gesellschaft betrachtet er lernen, leisten, tauschen, sparen, freiwillig teilen und sich vermehren.
Der Schweizer Unternehmer Daniel Model unternimmt eine Reise in die griechische Mythologie: „Reitet Europa den Stier oder wird sie geritten?“ Nach einleitenden Worten, in denen er den Unternehmer als den Sozialarbeiter schlechthin beschreibt, schildert Model das Schicksal der mythologischen Gestalt der Europa – der Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa.
Das am Stand in der Nähe von Sidon spielende, schöne Mädchen ist von einem plötzlich dort auftauchenden, prächtigen weißen Stier fasziniert. Dass es sich bei diesem edlen Tier in Wahrheit um den in diese Gestalt verwandelten Göttervater Zeus handelt, kann sie nicht ahnen.
Aber Europa ist neugierig und sie ist unerschrocken genug, sich dem offenbar zutraulichen Stier zu nähern und besteigt ihn schließlich. Der bewegt sich daraufhin ins Wasser und entfernt sich rasch von der Küste. Den zum Absprung geeigneten Moment verpasst Europa. Sie ist dem Stier ausgeliefert und kann nun nicht anders, als ihr Vertrauen in dessen Schwimmkünste zu setzen. Sie ist zuversichtlich und geduldig. Sie packt den Stier bei den Hörnern. Und sie ist ausdauernd, denn als schließlich eine Küste vor ihnen aus dem Wasser steigt, handelt es sich um diejenige Kretas – wohl einige Tagesreisen entfernt.
In der Zwischenzeit schicken die alarmierten Eltern der abgängigen Europa deren Brüder aus, um sie zu suchen. Diese werden, wie auch Europa selbst, nie mehr nach Hause zurückkehren.
Am Strand bei Matala in Kreta angelangt, verwandelt sich Zeus wieder in seine ursprüngliche Gestalt zurück. Europa erliegt dem Werben des Gottes und gebiert ihm schließlich drei Kinder (darunter den späteren kretischen König Minos). Aus der Verbindung der menschlichen Europa mit dem göttlichen Zeus resultieren mehrere frühe europäische Hochkulturen.
Europa steht für die Verbindung von Himmel und Erde, woraus sich alle späteren Versuchungen, Spannungsverhältnisse und das „Durcheinander“ erklären lassen. Ob es eine Rolle spielt, dass Europa – einsam und verlassen an der kretischen Küste – als alleinerziehende Mutter durchkommen musste?
Dass Zeus sich von Europa entfernt, lässt sich als Rückzug der Götter deuten. Die Kirchen werden von anderen Kräften gekapert – an ihre Stelle tritt der Staat. Das allumfassende Gegenwartsprojekt „Schmerzfrei und sorglos GmbH“ ist als Antwort auf den (Trennungs-)Schmerz Europas zu begreifen.
Doch welche Schmerzen liegen vor Europa? Der Wohlfahrtsstaat wird scheitern – und zwar aus ökonomischen, nicht aus ideologischen Gründen.
Dem Osten des Kontinents bescheinigt Model großes Aufholpotential.
Europa hat – allen Unkenrufen zum Trotz – Zukunft. Europa ist – immer noch – ein junger Kontinent. Es braucht indes die Besinnung auf die von der mythologischen Gestalt der Europa gezeigten Tugenden von Ausdauer und Geduld.
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Ing. Andreas Tögel
Mittelstandsprecher